Experteninterview: Julia Walter

Mobilität für Menschen mit Behinderung ist ein wichtiges Thema.

Wir haben spannende Interviews rund ums Thema mit interessanten Experten durchgeführt. In diesem Interview haben wir mit Julia Walter gesprochen - Referentin für Barrierefreiheit beim Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V..

Frau mit Notebook

Julia Walter ist Referentin für Barrierefreiheit beim Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V.. Für unseren Ratgeber zum Thema „Mobilität für Menschen mit Behinderung“ hat sie ein paar unserer Fragen beantwortet.

Ihr Verband wurde bereits im Jahr 1955 gegründet und unterstützt seither Menschen mit körperlicher Behinderung in vielen Belangen des täglichen Lebens. Wie groß ist Ihr Verein aktuell und worin liegt der Kern Ihrer Arbeit?
Der BSK hat etwa 22.800 Mitglieder, Förderer und Spender. Unsere Schwerpunktthemen sind Bewusstseinsbildung, Barrierefreiheit und Gesundheit. Der Kern unserer Arbeit liegt in der Interessenvertretung von Menschen mit Körperbehinderung. Der BSK ist ein anerkannter Verbraucherschutzverband. Er berät in Diskriminierungsfragen und ist einer der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales registrierten Behindertenverbände.

Im Rahmen der Interessenvertretung haben Sie erreicht, dass die „Fernbusrichtlinie“ (Personenbeförderungsgesetz) geändert wurde, damit Fernbusse in verschiedenen Abstufungen bis zu diesem Jahr barrierefrei werden. Wurden die Ziele erreicht und sind Sie mit der Umsetzung zufrieden?
Die Umsetzung der Barrierefreiheit von Fernlinienbussen wurde in zwei Stufen aufgeteilt. Dies galt zunächst ab dem 01.01.2016 für alle neu angeschafften Fernlinienbusse. Damals hatte sich nicht viel verändert. Die Betreiber haben zum Jahresende 2015 nochmal (nicht barrierefreie) Busse angeschafft. Erst später gab es dann barrierefreie Busse im Einsatz. Seit dem 01.01.2020 gilt die Barrierefreiheit für alle Fernlinienbusse. Leider sieht die Praxis hier anders aus. Wir mussten zum Jahresanfang vermehrt feststellen, dass noch nicht alle Busse barrierefrei sind und sind demnach mit der Umsetzung nicht zufrieden. Das Gesetz sieht keine Sanktionen vor. Hier besteht definitiv Nachholbedarf.

Eines Ihrer Ziele ist der barrierefreie ÖPNV für mehr Lebensqualität aller Menschen. Worin sehen Sie maßgebliche Verbesserungspotenziale im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel für die Beförderung von Menschen mit Behinderung?

Der ÖPNV muss ab dem 01.01.2022 barrierefrei sein. Entscheidend für die Nutzung der Fahrzeuge im ÖPNV ist, dass sowohl der Ein- und Ausstieg als auch die Nutzung im Fahrzeug für mobilitätseingeschränkte Menschen selbständig und ohne fremde Hilfe möglich sind. Es gibt große Probleme bei der Anpassung der Fahrzeuge (bei Bussen und Bahnen) an die Haltestellen, um diese selbständig nutzen zu können. Besonders im ländlichen Raum liegt der Umbau der Haltestellen bei den Kommunen, welche sehr oft Probleme mit der Finanzierung des Umbaus haben. Barrierefreiheit im ländlichen Raum zu schaffen, ist deutlich schwieriger als in der Stadt. Zudem können im ländlichen Raum nicht immer alle Haltestellen barrierefrei nach DIN-Norm umgebaut werden. Dies liegt zum einen an Platzproblemen (Lage der Haltestelle) und zum anderen werden die Kosten stets dem Nutzen gegenübergestellt (Wie viele Fahrgäste nutzen die Haltestelle, Wie oft wird die Haltestelle angefahren? „Lohnt“ sich ein Umbau?). Fehlende Informationen über die spezielle Gestaltung aller von dem jeweiligen Unternehmen genutzten Fahrzeuge sind ein weiteres Problem. Informationen wie „Unsere Fahrzeuge sind barrierefrei“ genügen nicht. Ein ebenerdiger Einstieg in den Bus ist zum Beispiel für Rollstuhlnutzer/innen barrierefrei. Fehlen aber beipsielsweise akustische Signale, wäre hier die Barrierefreiheit für Menschen mit Sehbehinderung nicht mehr gegeben. Deshalb ist es wichtig, seitens der Verkehrsgesellschaft die Informationen möglichst präzise herauszugeben wie beispielsweise Bahnsteig- und Zugeinstieg auf gleicher Höhe mit der des Fahrzeuginnenraums, Maße der Bewegungsflächen, Berücksichtigung des 2-Sinne-Prinzips und ähnliche.
Im Schienenverkehr ist die größte Herausforderung das Zugmaterial an Bahnsteighöhen anzupassen, das ist das A & O für Barrierefreiheit, um ein selbständiges Ein- und Aussteigen zu ermöglichen. Durch viele unbesetzte kleine Bahnhöfe ist keine Hilfeleistung möglich, die dann nicht mehr gebraucht würde. Ein Beispiel ist da zum Beispiel der Bahnhof Leipzig. Wenn dort ein Nahverkehrszug auf einem Gleis für den Fernverkehr ankommt, wird eine Rampe benötigt, um nach unten in den Zug zu gelangen, da die Nahverkehrszüge hier zum Beispiel einen Einstieg bei 55 cm haben und der Bahnsteig eine Höhe von 76cm aufweist.
Wichtig wäre auch eine regelmäßige Schulung des Fahr- und Begleitpersonals unter anderem in Bezug auf Hilfestellung und Bedienung der Rampen sowie auch eine bessere verbale Kommunikation, die besonders für blinde und sehbehinderte Fahrgäste wichtig ist.
Regelmäßige Mobilitätstrainings auf regionaler Ebene bringen für die Verkehrsunternehmen und die Betroffenen Sicherheit.
Probleme bestehen auch immer noch bei der Anmeldung über die Mobilitätsservicezentrale (MSZ) der DB, beispielsweise bei Umbuchung des Zuges ohne den Fahrgast zu informieren, trotz bestätigter Anmeldung ist Service-/Fahrpersonal vor Ort nicht informiert.
Die Apps der DB sind nicht tagesaktuell, zum Beispielbei der Funktionsfähigkeit der Aufzüge. Fahrgäste benötigen aber eine Echtzeitinformation. Auch die Mitarbeiter der MSZ sind auf die aktuellen Informationen angewiesen, um dem Fahrgast entsprechende Auskunft bei der Anmeldung zu geben.

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V.
Der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. (BSK) ist eine der ältesten Selbsthilfeorganisationen für Menschen mit Behinderung in Deutschland. © Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V.

Die Maßnahmen für einen barrierefreien Tourismus haben in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Haben Sie Tipps für Reiseziele, welche zum jetzigen Zeitpunkt bereits gut mit einer körperlichen Behinderung erreicht werden können und welche Ausflugsziele sich einer großen Beliebtheit bei Menschen mit körperlicher Behinderung erfreuen?
Im aktuellen Katalog der BSK-Reisen und auf der Homepage www.bsk-reisen.org sind Individual- und Gruppenreiseziele für Menschen mit und ohne Körperbehinderung innerhalb Deutschlands, Europas und weltweit dargestellt. Das Reiseangebot wurde vor allem mit neuen Individualreisezielen in Italien, Spanien und Flusskreuzfahrten auf dem Rhein sowie der neuen BSK-Gruppenreise „Rhein-Flusskreuzfahrt“ mit der MS Viola erweitert. Die MS Viola, ein ehemaliges Versorgungsschiff des niederländischen Roten Kreuzes, verfügt heute über 34 rollstuhlgerechte Kabinen. In Spanien sind neben Hotels auf dem Festland Hotels auf den Balearen (Mallorca, Ibiza) und den Kanaren (Gran Canaria, Lanzarote, Teneriffa) buchbar.
Die Vermittlung und Schulung von Reiseassistenten(innen) ist eine weitere spezielle Aufgabe der BSK-Reisen GmbH. Dies ermöglicht Menschen mit Behinderung, die Assistenzleistungen während der Reise benötigen, auch individuell mit eigener Assistenz zu reisen.
Aufgrund der aktuellen Corona Situation sind Reisen momentan nur sehr eingeschränkt möglich.

Warum sind diese Ausflugsziele gesondert hervorzuheben?
Es gibt auf Anfrage je nach Reiseziel/Hotel die Möglichkeit, bestimmte Hilfsmittel vor Ort dazu zu buchen. Die Hotelanlagen sind überwiegend barrierefrei gestaltet und es können Ausflüge zum Beispiel speziell für Rollstuhlnutzer/innen gebucht werden, die dann auch barrierefreie Ausflugsziele berücksichtigen. Eine Haustürabholung bei Hotels innerhalb Deutschlands ist möglich sowie ein barrierefreier Transfer vom Flughafen zum Hotel und zurück bei Auslandsreisen.

Worin sehen Sie die größten Herausforderungen auf dem Weg zur „Mobilität für alle“ heutzutage? 
Mobilität beginnt bereits im eigenen Haus und endet am Ziel. Betrachtet werden muss immer die gesamte Reisekette. Es nützt nichts, wenn die Haltestelle barrierefrei ist aber das Fahrzeug nicht. Oder man gar nicht erst zur Haltestelle kommt, weil der Weg dorthin nicht barrierefrei ist.
Weiterhin wird die Barrierefreiheit oft nur auf den/die Rollstuhlnutzer/in reduziert. Menschen mit anderen Einschränkungen werden vergessen und dann fehlt beispielsweise das Blindenleitliniensystem oder digitale Anzeigen. Barrierefreiheit muss umfassend sein, denn ohne Barrierefreiheit keine Mobilität.

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